In der Schweiz das Licht gefunden


Herisauer Nachrichten vom 3. Mai 2018

Yrsa Thordardottir kommt, wie man am Namen schon erkennen kann, aus Island. Was die Pfarrerin, die heute in Grub AR lebt und in Waldstatt arbeitet, an der Schweiz überrascht hat und wieso sie sich nicht vorstellen kann, nach Island zurückzukehren, erzählt sie im Interview.
Yrsa Thordardottir, wie oft müssen Sie Ihren Nachnamen buchstabieren?
Oh, sehr oft (lacht). Ich mag es aber sowieso lieber, wenn man mich mit dem Vornamen anspricht. In Island wird dem Nachnamen keine so grosse Bedeutung zugemessen wie in der Schweiz. Der Name zeigt lediglich, dass ich die Tochter (dottir) meines Vaters Thordur bin.

Okay, dann nenne ich Sie Yrsa. Was hat Sie und Ihren Mann dazu bewogen, Island zu verlassen?
Mein Mann und ich haben beide in Island Theologie studiert. Zusätzlich habe ich mich in einem Fernstudium mit Psychoanalyse beschäftigt und eine Praxis geführt. Das Leben hat uns gut gefallen. Als Island aber von der Finanzkrise getroffen wurde, war es nahezu unmöglich geworden, eine Stelle als Pfarrer oder Pfarrerin zu finden und auch meine Praxis wurde nicht mehr so gut besucht. So begannen wir uns nach Alternativen umzuschauen.

War die Schweiz Ihre erste Wahl?
Wir waren zuvor noch eine Weile in Strassburg. Als Kind war ich oft dort, da mein Vater für den Europarat arbeitete. Anschliessend arbeitete ich in Biel als Pfarrerin und mein Mann in Grub-Eggersriet. So entschied ich mich, ihm in die Ostschweiz zu folgen.

Was fiel Ihnen in der Schweiz als erstes auf?
Die Schweizer sind sehr freundlich und offen. Wir Isländer sind eher ein bisschen zurückhaltend und verschlossen. Die Landschaft in der Schweiz hat es mir ganz speziell angetan. Obwohl es auch in Island sehr schön ist - nur eben anders.

Hatten Sie grosse Probleme, Deutsch zu lernen?
Ich besuchte bereits in der Schule den Deutschunterricht, daher beherrschte ich die Sprache noch ein wenig. Viel mehr Probleme hatte ich damit, die Kultur und Traditionen, gerade im appenzellischen, zu verstehen. Umso näher ich sie kennenlerne umso mehr gefällt sie mir aber.

Hat Sie sonst noch etwas überrascht?
Zum Beispiel die Rollenverteilung bei Mann und Frau. In Island ist das nicht so ausgeprägt. In der Schweiz ist es Standard, dass der Mann arbeitet und sich die Frau um die Kinder und den Haushalt kümmert. In Island ist es ökonomisch nicht haltbar, dass nur ein Partner die Familie versorgt. Über das erst spät eingeführte Frauenstimmrecht war ich sehr erstaunt, habe mich jedoch nie diskriminiert gefühlt.

Man hört immer wieder, dass in Island an Feen und Elfen geglaubt wird und man sogar beim Strassenbau Rücksicht auf die Fabelwesen nimmt. Stimmt das oder ist das nur für die Touristen?
Nein, das stimmt wirklich (lacht). Es gibt in Island Strassen, die Kurven um Gebiete machen, in denen Elfen leben sollen. Natürlich glauben nicht alle daran. Die Isländer und Isländerinnen sind aber schon spiritistischer veranlagt als die hiesigen Bürgerinnen und Bürger.

Inwiefern?
Viele glauben daran, dass man mit Geistern kommunizieren kann. Oder dass man die tote Grossmutter spürt, wenn man einen Kuchen nach einem ihrer Rezepte backt. Das geht so weit, dass in meiner Anfangszeit als Pfarrerin vor etwa 30 Jahren jemand einen verstorbenen Arzt wegen einer Krankheit kontaktieren wollte. Leider war aber das Medium, das den Kontakt herstellen sollte, ebenfalls verstorben. So schrieb man dessen Witwe einen Brief, damit sie mit dem Medium und dieses wiederum mit dem Arzt Kontakt aufnehmen konnte. Das war eher ein extremer Fall, aber allgemein an Geister glauben in Island viele.

Wie unterscheiden sich die Kirchen und der Glaube in Island und der Schweiz?
In Island waren früher eigentlich alle in der Nationalkirche - heute sind es ein bisschen weniger. In der Schweiz müssen wir immer um die Kirchengänger kämpfen. Ich denke aber, der Glaube unterscheidet sich nicht gross. In Island sind ausserdem fast alle getauft und konfirmiert und die meisten heiraten in der Kirche.

Haben Sie Heimweh nach Island?
Ich habe immer Heimweh gehabt. Aber nicht nur nach Island. Ich gehe regelmässig nach Island und nehme interessierte Leute aus der Schweiz mit, um ihnen das Land aus Sicht einer ehemaligen Isländerin zu zeigen. Wenn ich auf der Insel bin, vermisse ich aber auch die Schweiz.

Können Sie sich vorstellen, wieder in Island zu leben?
Nein, ich besuche Island gerne, aber meine Heimat ist jetzt in der Schweiz. Ich hatte schon immer mit den langen dunkeln Wintern in Island zu kämpfen. Ich habe mir jeweils spezielle Lampen gekauft, die Tageslicht simulierten - das muss ich hier in der Schweiz zum Glück nicht.

Yrsa Thorardottir organisiert immer wieder Reisen nach Island. Ihre Kontaktdaten befinden sich auf der Gemeindewebseite von Waldstatt. www.waldstatt.ch.

Interview: Ramona Koller