Der Appenzeller bei der Nato

Reinhard Eugster in seinem Büro, das er sich mit Offizieren aus sechs anderen Ländern teilt. (pd)


Appenzeller Zeitung vom 11. Dezember 2016

VERBINDUNGSOFFIZIER ⋅ Seit drei Monaten ist der Ausserrhoder Reinhard Eugster als Verbindungsoffizier am Nato-Hauptquartier in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia im Einsatz. Dort geht er der Frage nach, wie friedenssichernde Einsätze in Zukunft aussehen könnten.

Christof Krapf

Zuerst hatte Reinhard Eugster abgelehnt. Damals, vor 15 Jahren, als er gefragt wurde, ob er sich eine Karriere als Berufsmilitär vorstellen könne. «Erst nach Gesprächen mit meiner Familie und Militärkameraden habe ich gemerkt, dass Berufsoffizier ein Job für mich ist», sagt der 46-Jährige. Oberstleutnant im Generalstab Eugster, aufgewachsen im ausserrhodischen Waldstatt, ist ein Spätberufener. Vielleicht entspricht er gerade deshalb nicht dem Klischee des zackigen und brüllenden Instruktionsoffiziers. «Wenn es sein muss, kann ich laut werden und klare Befehle geben. Ich wollte aber im Militär immer mich selber bleiben.» Eugster liegt das Erklären mehr als das Befehlen – diesen Eindruck bekommt, wer mit ihm Dienst leistet. «Das hängt wohl damit zusammen, dass ich nicht direkt nach der Rekrutenschule Berufsmilitär geworden bin, sondern vorher als Projektleiter in der Baubranche gearbeitet habe.» Den Entscheid, Berufsoffizier zu werden, hat Eugster nicht bereut. «Ich kann mir kaum einen kreativeren Job vorstellen.» Wie bitte? Kreativität? Im Militär? Mit all seinen Vorschriften? Eugster sagt: «Der Rahmen ist im Militär zwar eng gesteckt. Darin geniesst man aber grosse Freiheiten.»

Tochter und Frau fliegen mit, die Söhne bleiben
Der Beruf hat Eugster mittlerweile über den Atlantik gebracht. Seit drei Monaten ist er als Verbindungsoffizier am «Allied Command Transformation» der Nato in Norfolk im US-Bundesstaat Virginia stationiert. Dort planen die Nato-Staaten die Streitkräfte der Zukunft. «Die Mitglieder versuchen herauszufinden, was die Nato in 20 Jahren leisten muss und kann», sagt Eugster. Die Schweiz gehört dem nordatlantischen Bündnis zwar nicht an. Im Rahmen von friedenssichernden Einsätzen pflegt sie aber eine Zusammenarbeit mit der Nato – etwa bei der Kfor in Kosovo. Eugsters Aufgabe ist es, für die Schweiz relevante Informationen zu beschaffen, aufzubereiten und an die richtigen Stellen zu verteilen. «Wie sehen friedenssichernde Einsätze in Zukunft aus? Das ist zum Beispiel eine Frage, die mich beschäftigt.»

Durch den Einsatz des Vaters ist die Familie temporär getrennt. Ehefrau und Tochter flogen mit in die USA – die Söhne blieben in der Schweiz. Der eine absolviert die Offiziersschule, der andere bereitet sich auf die Matura vor; via Whatsapp und Skype hält Eugster Kontakt mit ihnen. «Die Familie ist beim Entscheid, in den USA zu arbeiten, voll hinter mir gestanden», sagt er. Der Alltag in der neuen Heimat hält für Eugsters auch nach drei Monaten noch Überraschungen bereit. «Von der Schule unserer Tochter erhalten wir täglich eine Flut von Informationen. Ohne Auto kommt man nicht weit, dafür haben die Läden 24 Stunden geöffnet. Daran mussten wir uns gewöhnen», sagt Eugster. Mittlerweile hat sich die Familie eingelebt. Trotz Unterschieden im Alltag.

«Danke für den Einsatz, wir schätzen diesen sehr»
Auch bei der Arbeit kommt Eugster mit unterschiedlichen Kulturen zusammen. Er teilt sich ein Grossraumbüro mit Offizieren aus Österreich, Finnland, Schweden, der Ukraine, Aserbaidschan und Georgien. Gross ist nicht nur das Büro, sondern auch das Drumherum. Eugsters Arbeitsplatz liegt auf dem grössten Marinestützpunkt der USA – dieser ist der Heimathafen von vier Flugzeugträgern. In Nordamerika ist eben alles ein Stück grösser als in der Schweiz – auch die Akzeptanz des Militärs. Manchmal, wenn Oberstleutnant Eugster in Uniform unterwegs ist, bedanken sich Passanten bei ihm. «Danke für Ihren Einsatz. Wir schätzen diesen sehr», bekommt er zu hören. «Das hat mich überrascht. Eine solche Akzeptanz würde ich mir auch in der Schweiz wünschen.»

Dass das Militär in den USA einen wichtigeren Stellenwert einnimmt, spürt Eugster jeden Morgen. Dann dröhnt die amerikanische Nationalhymne über den Stützpunkt. Wer sich nicht in einem Gebäude befindet, muss für die Dauer der Hymne stillstehen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Eugster meist schon in seinem Büro – allerdings nicht, um dem Hymnenritual zu entgehen. «Am Morgen telefoniere ich wegen der Zeitverschiebung mit der Schweiz und dem zweiten Nato-Hauptquartier in Belgien», sagt er. Der Kontakt zur Schweiz reisst also auch über die Distanz von 6800 Kilometern nicht ab. «Ich lese jeden Morgen die Appenzeller Zeitung.»

Weihnachten wird die Familie aber typisch amerikanisch verbringen. Sie hat für das Fest extra eine grosse Friteuse gekauft. «Darin will ich einen Truthahn zubereiten.» Schweizer Kost kommt allerdings immer noch auf den Tisch. Etwa dann, wenn die Familie ausländische Gäste bewirtet – das Repräsentieren der Schweiz gehört ebenfalls zu Eugsters Aufgaben. Kulinarisch erledigt er das zum Beispiel mit Raclette. Allerdings wird der Käse mit einem kerzenbetriebenen Ofen erwärmt – der elektrische Racletteofen funktioniert mit amerikanischer Stromspannung nicht.